Die
südslawische Gefahr und das Deutschtum
Von
Alfred Geisler - Berlin.
Seit
Monatsfrist verfolgt Europa mit atemloser Spannung das Fortschreiten des
furchtbaren Kriegsbrandes, der die letzten Trümmer des einst so stolzen
Herrschaftsbaues der Osmanen auf europäischem Boden zu vernichten
droht, dessen Flammen, nur mühsam gehemmt durch den letzten Verteidigungswall
der Türken, gegen die zerbröckelnden Mauern des alten Byzanz
heranzüngeln. Werden die Gluten den ringsum lagernden Zündstoff
ergreifen und das furchtbare Unwetter eines europäischen Krieges
herbeiführen? Diese Frage erregt gegenwärtig mit jedem Tage
stärker die Seele der Völker. Vielleicht sind die Würfel
der Entscheidung bereits gefallen, wenn diese Zeilen in die Hand unserer
Leser kommen. Sollte es dann das Schicksal gefügt haben, daß
auch das friedliebende Deutsche Reich zum Schwert greifen müßte,
so erhebt sich die gewaltige Frage: Was ist für uns der tiefste Grund
und das höchste Ziel dieses Kampfes? Es wäre ein Verhängnis,
wenn das deutsche Volk das Schwert in dem Glauben ziehen müßte,
es gehe nur um einen kleinen serbischen Hafen am adriatischen Meere, -
wenn es nicht begriffe, daß es sich um eine Lebensfrage auch des
deutschen Reichsvolkes bei einem solchen Kriege handele. - Es scheint
mir eine ernste Pflicht, des deutschen Volkes Aufmerksamkeit - vielleicht
in letzter Stunde - auf die schweren Probleme zu lenken, die sich hinter
der scheinbar unbedeutenden Streitfrage um das "Fenster" an
der Adria bergen, darauf hinzuweisen, daß der Ausbruch eines solchen
Krieges ein Schicksalskampf sein würde, dem eine weltgeschichtliche
nationale Gegnerschaft zugrunde liegt - die zwischen Deutschen und Slawen!
Noch vor kurzem ist von amtlich hervorragender Stelle das Wort gefallen:
Kriege können heutzutage nur noch aus wirtschaftlichen Gegensätzen
entstehen. Wenige Wochen später hat der Sturm des Balkankrieges dieses
Wort wie ein welkes Blatt in die Lüfte gewirbelt. Ein anderes Wort
eines leitenden Staatsmannes wies darauf hin, daß in der Gegenwart
nicht mehr der Wille der Regierungen, sondern der Wille der Völker
die Kriege mache. Aber fast nirgends kommt die Erkenntnis zu klarem Ausdruck,
daß in den Völkern triebhafte, elementare Kräfte der Anziehung
und Abstoßung lebendig sind, die nicht durch Berechnung von Nutzen
oder Schaden, nicht durch wirtschaftliche Gesichtspunkte im letzten Ende
bestimmt werden, sondern durch Imponderabilien der Völkerpsyche,
die gerade von der offiziellen Politik so leicht unterschätzt werden.
Und doch, wie hat es ein Bismarck verstanden, den seit Jahrhunderten im
deutschen Herzen schlummernden Drang nach nationaler Einigung zum Siegesmotto
des großen Krieges von 1870/71 zu machen! Wie hat der kluge Skeptiker
auf dem Bulgarenthron gegenüber den Volksmassen der Balkanslawen
den geschichtlichen, religiösen und rassenmäßigen Gegensatz
gegen das Türkentum einerseits, das starke Gefühl der nationalen
Zusammengehörigkeit mit den "unerlösten" slawischen
Brüdern in Mazedonien anderseits, zu nützen gewußt, um
in ihnen leidenschaftlichen Kriegszorn und Siegerwillen zu wecken.
Zu diesem Kriege drängte, in ihm triumphiert jenes Nationalitätenprinzip,
das immer mehr zum beherrschenden Kennzeichen im Völkerleben unserer
politisch bewegten und gärenden Zeit wird. Von ihm geleitet drängen
die bluts- und sprachverwandten Stämme immer stärker nach völkischer
Einigung über die bestehenden, wandelbaren Staatsgrenzen hinweg.
Dieser Nationalitätengedanke schafft selbst da, wo an eine politische
Einigung der staatlich getrennten Volksteile gleicher Art nicht oder noch
nicht gedacht wird, ein Gemeinschaftsempfinden von solcher Stärke,
daß die Staatskunst unserer Tage mit ihm ernstlich rechnen muß.
Keine Völkerfamilie aber ist so stark von solchem Gemeinschaftsgefühl
erfüllt wie die slawische, in deren ungeheueren Massen die Eigenart
des Einzelnen mit ihren Hemmungen schwächer entwickelt ist, als etwa
bei uns Deutschen, und deren Herdensinn daher leichter und stärker
der Massensuggestion einer elementaren Empfindung unterliegt. So ist die
allslawische Bewegung entstanden, die von Moskau bis Sofia als letztes
Ziel den Zusammenschluß aller Slawen und damit die Vorherrschaft
der slawischen Welt in Ost- und Mitteleuropa erstrebt. Sie kann naturgemäß
nur im siegreichen Kampf gegen die Nation durchgesetzt werden, die heute
ihren Zielen im Wege steht - gegen die deutsche. Vielleicht ist es ein
Verhängnis für unser Volk, daß in seiner geschlossenen
Hauptmachtstellung, im Deutschen Reich, Bedeutung und Ernst dieser slawischen
Angriffsbewegung bei weitem nicht genügend erkannt und gewürdigt
werden.
Wir Reichsdeutsche sind überwiegend noch so sehr im ausschließlich
staatspolitischen Denken befangen, daß wir bei der Steuerung unseres
politischen Schiffes im Völkermeer wohl Winde und Gegenwinde beachten,
die dessen Oberfläche kräusln, nicht aber die gewaltigen Unterströmungen
der Tiefe, die vom Wandel der Oberfläche unbeirrt bleiben. Wir haben
uns auch so daran gewöhnt, die Entscheidungen über die Geschicke
der Staaten nur im Kampf auf den Schlachtfeldern zu suchen, daß
wir den unaufhörlichen, keinen Waffenstillstand, keinen Frieden kennenden
Kampf nicht beachten, der an den Grenzen unseres Volkstums um jede Stadt
und jedes Dorf, um jede Scholle Ackers und jeden Fußbreit Weges,
nicht zum letzten aber um jede Kindesseele angefochten wird, diesen Kampf
um den Bestand des Volksbodens und der Volksart, in dem auf kulturellem
und wirtschaftlichem Felde das Slawentum bereits seit Generationen ohne
Unterlaß angreifend gegen das Deutschtum vordrängt.
Das ist für uns die unvergleichliche Bedeutung des österreichisch-ungarischen
Staates, daß er einmal als Zwischenglied den ersten Stoß des
slawischen Angriffs von Südosten her auffängt, und daß
zu zweit in ihm selbst eine Füll slawischer Angriffskräfte durch
den Nationalitätengegensatz innerhalb seiner Reichsgrenzen gleichsam
ausgeglichen und verzehrt werden. Demgemäß ist das Millionendeutschtum
in Österreich, abgesehen davon, daß es den an sich stärksten
Außenposten deutscher Art und Sprache in Europa darstellt, für
uns unersetzlich, weil von seinem Fortbestand und Einfluß die Leistungsfähigkeit
des österreichischen Staatsganzen im obigen Sinne abhängt. Jede
Stärkung des Slawentums auf österreichischem Boden mindert deshalb den Wert des Nachbarstaates
als unseren Bundesgenossen und gefährdet in natürlicher Folge
die zentrale Machtstellung des deutschen Volkes im Reich!
Unter solchen Gesichtspunkten gewinnen die eingetretenen und die kommenden
Veränderungen auf dem Balkan eine besondere und gefahrdrohende Bedeutung.
Bisher ging die Vorwärtsbewegung des Slawentums gegen das Deutschtum
im allgemeinen nur von den Nordslawen aus, Polen und Tschechen waren ihre
Träger. Die letzteren wurden dabei wohlwollend gefördert von
Rußland als der slawischen Vormacht, deren Volksmassen unbeirrt
von periodischen Schwankungen der amtlichen Politik mit ganzem Herzen
im allslawischen und deutschfeindlichen Lager stehen.
Im Süden der habsburgischen Doppelmonarchie war das ihr zugehörige
Slawentum zersplittert, ihm fehlte der Rückhalt an einer starken
slawischen Macht außerhalb der Reichsgrenzen. Der Kampf des kleinen
fanatischen Slowenenstammes gegen die deutschen Minderheiten in Südsteier
und Krain bildete eine Einzelerscheinung.
Durch das erfolgreiche Hervortreten des Balkanbundes ist hier mit einem
Schlage die Lage für unsere Volksinteressen verhängnisvoll gewandelt.
Aus den Siegen der Bulgaren, Serben und ihren Verbündeten auf den
Schlachtfeldern Mazedoniens erwuchs für das Deutschtum die südslawische
Gefahr. Ihre Bedeutung ergibt sich aus dem vorher Dargelegten. Slawische
Bluts- und Interessengemeinschaft, slawische Teilnahme für das Schicksal
ihrer Brüder in Mazedonien haben die Südslawen der Balkanhalbinsel
zum Bündnis und zum Angriffskriege gegen die Osmanen getrieben. Triumphierend
schicken sich die Sieger an, die Beute zu teilen. Ein Teil des sagenhaften
Herrscherglanzes, der die großbulgarischen und großserbischen
Reiche des Mittelalters umwob, strahlt heute auch von der Krone des Königs
der Bulgaren und Peters von Serbien. Die Südslawen der Balkanhalbinsel,
geeint und frei, schicken sich an, als eine slawische Großmacht
in dem europäischen Völkerrat Sitz und Stimme zu fordern. Jedoch,
die größere Hälfte dieser Südslawen wohnt nicht in
den Grenzen des jungen Staatsgebildes, sondern im alten Habsburgerstaat.
In dieser wenig beachteten Tatsache liegt der Kern der ganzen südslawischen
Frage. Durch sie wird diese zur offenbaren Gefahr!
Die Zahl der Serbokroaten auf österreichisch-ungarischem Boden setzt
sich zusammen aus
Kroaten (in Kroatien, Slawonien und dem Küstenland) 3333000 Bosnien
(in Bosnien und der Herzegowina) ..... 1520000
zusammen 4853000.
Diesen stehen auf der Balkanhalbinsel an Serben gegenüber (im Königreich
Serbien, Königreich Montenegro
und Altserbien) nur ........ ...... 3147000.
Zählt man zu den österreichischen Serbokroaten noch die Slowenen
mit 1500000 Köpfen als Südslawen hinzu, so weist die Donaumonarchie
insgesamt 6353000 Südslawen auf, die mit ihren Sympathien uneingeschränkt
auf der Seite ihrer serbischen Balkanbrüder stehen.
Serben im Königreich und im Sandschak - Montenegriner - Kroaten in
Kroatien, Slawonien und Dalmatien - Bosniaken, Serben und Herzegowzen
im jüngsten Kronland Österreichs - sie alle sind gleichen Blutes,
gleicher Sprache, Art und Sitte: sind Serbokroaten, geschieden nur durch
die Wälle der konfessionellen Gegensätze und die Gräben
der Staatsgrenzen. Noch vor wenigen Jahren waren diese Wälle so stark,
daß die römisch-katholischen Kroaten den Serben der griechisch-orientalischen
Kirche feindlich gegenüberstanden, seitdem aber hat der geigende
Wellenschlag des nationalen Gedanken, verstärkt durch den Einfluß
der allslawischen Idee, diese Wälle zerbröckelt; der Stolz auf
die Siege der Balkanbrüder wird ihre letzten Reste hinwegfegen. Und
die Gräben der Staatsgrenzen? Vor drei Jahren, als das Königreich
Serbien, offenbar gestützt auf die russischen Sympathien, Anstalt
machte, sich der Einverleibung Bosniens in Österreich zu widersetzen,
weil sie seine großserbischen Hoffmmgen durchkreuzte, brachen tschechische
Reservisten in Prag bei der Mobilmachung in Hochrufe auf Serbien aus,
und soeben erlebte Wien slawische Studentendemonstrationen der gleichen
Art. Im vorigen Jahre war der Verfasser Augenzeuge des geradezu frenetischen
Jubels, mit dem in Kroatiens Hauptstadt Agram bei einer großen altslawischen
Sokolfeier die in Sonderzügen eingetroffenen Sokols aus Belgrad und
Sofia begrüßt wurden; damals, kurz nach dem österreichisch-serbischen
Konflikt, rief ihnen das Stadthaupt Agrams zu, er hege die Hoffnung das
nächste mal die serbischen Brüder in einem wirklich freien Kroatien
begrüßen zu können! Viel Hunderte von kroatischen Freiwilligen
aus den österreichischen Landen sind den Serben im letzten Kriege
zu Hilfe geeilt. Auf dem Marktplatz Agrams mußte erst vor wenigen
Wochen die Polizei mit blanker Waffe gegen kroatische Studenten vorgehen,
die mit Hochrufen auf "König Peter von Kroatien" demonstrierten
und in Dalmatien (!) erließen soeben mehrere hundert kroatische
Gemeindevorsteher eine Kundgebung zugunsten ihrer "Brüder in
Serbien". In österreichischen Regierungskreisen hat man bis
letzthin den Kroaten Vorschub geleistet, sie zur Verdrängung des
Italienertums an der dalmatinischen Küste benutzt, weil man in ihnen
den treuen Anhänger der schwarzgelben Fahne sah, der einst dem Kaiserhause
im Kampf gegen die madjarischen Revolutionsherren wertvolle Dienste geleitet.
Man bedachte nicht, daß weniger Kaisertreue als Rassenhaß
gegen das Madjarentum die Triebfeder dieser Waffengefolgschaft gewesen.
Bis vor kurzem noch wurde mit dem Gedanken des "Trialismus"
gespielt, der Serbo-Kroaten, Bosniaken und Slowenen in einem südslawischen
selbständigen Reichsdrittel zusammenfassend, den Habsburgerstaat
gegen den Balkan decken und womöglich eine starke Anziehungskraft
auf den Balkanslawen ausüben sollte. Die serbischen Siege haben die
Verhältnisse umgekehrt sich entwickeln lassen. Heute muß es
für den österreichischen Staat ernste Sorge sein, daß
die Anziehungskraft der Balkansieger auf seine südslawischen Volksbestandteile
nicht seinen eigenen Besitzstand gefährdet!
Ein kriegerisch erstarkter südslawischer Balkanbund, der wie ein
Riegel Österreichs wirtschaftliche Ausdehnung nach Süden hin
abzusperren vermag, eine eigene südslawische Grenzbevölkerung,
die mit Kopf und Herz den Brüdern in diesem Balkanbund zustrebt und
infolgedessen die Entschlußkraft und Kampfstärke des österreichischen
Staates lähmt, - das ist die gefährdete politische Lage, in
der sich der österreichische Staat den Südslawen gegenüber
befindet.
Für das österreichische Deutschtum kommt hinzu, daß diese
Lage, wie auch immer sie sich entwirren möge, seine Stellung im Staat
schädigen muß. Geht die österreichische Regierung daran,
die Treue ihrer Südslawen sich durch Versprechungen und Entgegenkommen
in nationaler Hinsicht zu sichern, so kann dies nur auf Kosten der Deutschen
geschehen. Würde Österreich im Falle eines siegreichen Krieges
seinen Besitzstand nach Süden vermehren, so hätte das wiederum
eine verhängnisvolle Machtsteigerung des Slawentums im Staate zur
Folge, das heute schon mit 60 % der Gesamtbevölkerung den 36 % Deutsch-Österreichern
gegenübersteht.
Für das Gesamtdeutschtum endlich ergibt sich in völkischer politischer
Hinsicht die gefahrdrohende Tatsache, daß die Erfolge der Bulgaren,
Serben und Montenegriner nunmehr auch südlich des verhältnismäßig
schmalen Bandes vom deutschen, madjarischen und rumänischen Volkstum,
das in Österreich die Nord- und Südslawen trennt, einen starken,
selbstbewußten und aktiven Staatenbund geschaffen haben. Und von
diesem Bunde steht gerade der Teil, der auf Österreichs Südslawen
die stärkte nationale Anziehungskraft ausübt, Serbien, im Bann
des russischen Einflusses. Schon vor zwei Jahrzehnten brachte das Drama
eines montenegrinischen Dichters folgende Prophezeiung.
Ihr sollt aus diesen Bergen
Ein neues stolzes Serbenreich errichten.
Doch wird´s nicht eher euch gelingen, bis
Im Norden ihr den großen Bruder findet!
Das Heilige Rußland wird wie eine Mutter
Für euch den Bruder liebend auferziehen.
Die Welt wird staunen über seine Taten,
Und niemand wird aus Furcht vor seiner Stärke
Euch künftig zu beleidigen wagen!
Der Verfasser dieses Dramas war - König Nikita von Montenegro!
Käme es dazu, daß Österreich-Ungarn sich mit Waffengewalt
der slawischen Umklammerung von Nord und Süd her zu erwehren entschlösse,
so würde es in einen Kampf gehen, dessen Ausgang darüber entscheiden
wird, ob dem Deutschtum noch eine Zukunft in Mitteleuropa beschieden ist
oder ob es dort der Flutwelle des ziffernmäßig übergewaltig
andrängenden Slawentums erliegen muß. |